Verfechter barrierefreier Medien und gendergerechter Sprache haben grundlegend ähnliche Ziele: Die Inklusion und Ansprache aller Menschen. Gendern und Barrierefreiheit sollten also Hand in Hand gehen und auch Sprache kann eine Barriere sein. Ich weiß, dass es viel Diskussion für und gegen das Gendern gibt und auf beiden Seiten sachliche Argumente existieren. Ebensoviele Varianten wurden bisher vorgeschlagen, die unterschiedlich weit verbreitet sind. Seien es zusätzliche Trennzeichen wie der Doppelpunkt oder das Sternchen (Entwickler:innen bzw Entwickler*innen), eine sogenannte Binnenmajuskel, also ein Großbuchstabe mitten im Wort (EntwicklerInnen), oder die Verwendung eines genderneutralen Wortes (Entwickelnde). Doch wie steht es um die Barrierefreiheit all dieser Varianten? Kann man barrierefrei gendern? Schauen wir uns die verschiedenen Varianten einzeln an.
Doppelpunkt, Genderstern und Unterstrich – ist das Gendern mit Trennzeichen barrierefrei?
Als Trennzeichen innerhalb von Wörtern haben sich viele verschiedene Möglichkeiten entwickelt. Die bekanntesten sind:
- Doppelpunkt (Entwickler:innen)
- Genderstern, also der Asterix (Entwickler*innen)
- Unterstrich (Entwickler_innen)
- Schrägstrich (Entwickler/innen)
Für Nutzer von Screenreadern können diese Trennzeichen immer dann ein Problem werden, wenn sie tatsächlich vorgelesen werden. Das stört den Lesefluss und kann dazu führen, dass der Inhalt des Satzes nach dem Trennzeichen nicht mehr richtig erfasst wird. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Zeichen verwendet werden, die auch sonst als Satzzeichen oder als wichtiger Teil von E-Mail-Adressen vorkommen können. Hier kann es zu Verwirrungen kommen. Ob und wie ein Satzzeichen vorgelesen wird, kann auch von den Einstellungen des Nutzers abhängen und lässt sich nicht pauschal vorhersagen.
Eine Empfehlung der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik legt sich nach technischen Analysen und Umfragen unter Betroffenen auf das Sternchen als beste Variante fest. Der deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband empfiehlt, wenn möglich generell aufs Gendern zu verzichten. Wenn er sich für etwas entscheiden muss, dann wäre es aber auch hier das Gendersternchen.
Für die Ausgabe auf der Braille-Zeile sind allerdings alle Sonderzeichen ungeeignet und führen zu Problemen, da viele Braille-Zeichen mehrere Bedeutungen haben können. Dazu zählen auch alle erwähnten Sonderzeichen, wodurch es zu Verwirrungen bei Lesern kommen kann.
Blinde und Sehbehinderte Menschen haben, wie man sieht, oft Probleme mit allen Formen von Sonderzeichen. Die eigentlich geplante Sprechpause wird selten so erreicht. Stattdessen hört der Nutzer von „StudentSternInnen“ und „LehrerSternInnen“. Auch Personen mit kognitiven Einschränkungen kann die Variante mit Sonderzeichen überfordern.
Großbuchstabe im Wort – Verwendung von Binnenmajuskeln
Eine weitere Variante, gendergerechte Begriffe zu finden, ist die Schreibweise mit einem großen I im Wort, dem sogenannten Binnen-I. So wird aus Entwicklern und Entwicklerinnen einfach EntwicklerInnen. Ich möchte keine Diskussion über die Eignung oder die Qualität der Sprache eröffnen. Aber wie sieht es aus Sicht der Barrierefreiheit mit dieser Schreibweise aus?
Screenreader kommen mit dieser Art der Schreibweise gut klar und lesen eine kurze Pause vor, genau so, wie es gedacht ist. Gelesen wird also „Entwickler innen“. Das kann jedoch gerade bei Menschen mit sprachlichen Schwierigkeiten auch dazu führen, dass die Wörter getrennt wahrgenommen werden und der Text so keinen Sinn ergibt. Was ist im Entwickler?
Eine barrierefreie Alternative – genderneutrale Begriffe
Wenn nun aber Sonderzeichen und Großbuchstaben nicht ideal sind, dann bleibt noch die Umschreibung mit genderneutralen Begriffen. Wir können vom Team, statt unseren Mitarbeiter*innen sprechen, von Studierenden statt Student*innen. Diese Variante ist, denkt man an Sprachausgaben oder Braille-Displays, auf jeden Fall die barriereärmste. Doch bei allen Formulierungen sollte man zwei Dinge bedenken:
- Bei google ranken Sie unter dem, was sie schreiben. Google erkennt zwar inzwischen durchaus Synonyme, trotzdem wird Ihre Website besser unter Lehrern gefunden, wenn Sie diesen Begriff auch nutzen und nicht nur Lehrende.
- Ein Austausch gegen genderneutrale Begriffe kann schnell befremdlich wirken und nicht verstanden werden. Stehen früh in der Bäckerrei Backende und an der Theke Verkaufende, dann löst das womöglich noch einen Schmunzler aus. Doch sind neutrale Soldaten dann Schießende?
Gendern bei Leichter Sprache und Einfacher Sprache
In Texten, die bewusst in Einfacher oder Leichter Sprache geschrieben sind, sollte man aufs Gendern in allen Formen lieber verzichten, denn jede der Varianten macht den Text komplizierter zu lesen. Eine veränderte Schreibweise oder unnötig komplizierte Wortschöpfungen können bei Menschen mit Lernschwächen oder Personen, die die Deutsche Sprache nicht gut beherrschen, zu Verwirrungen führen. Verwenden Sie hier entweder das generische Maskulinum (also immer die männliche Form) oder wechseln Sie die Geschlechter der Personen gleichmäßig.
Gendern und Suchmaschinen
Unabhängig von der Barrierefreiheit verschiedener Varianten lohnt sich ein Blick auf die Suchmaschinenoptimierung (SEO). Hier lässt sich die Erkenntnis knapp zusammenfassen: Ich ranke für das, was ich schreibe. Das heißt, möchte ich, dass meine Internetseite also sowohl für Entwickler, als auch für Entwicklerin oder sogar Entwickelnde gefunden wird, dann sollte ich alle diese Wörter in meinen Texten verwenden. Google erkennt, Stand heute, die Bedeutung einer gendergerechten Sprache nicht.
Übrigens passen Verbesserung der Barrierefreiheit und Suchmaschinenoptimierung hervorragend zusammen und profitieren oft gegenseitig voneinander.
Barrierefrei gendern mit Doppelpunkt, Unterstrich und Co. – Fazit
Wie man sieht, ist eine Vereinbarkeit von gendergerechter und barrierefreier Sprache nicht immer einfach. Die Selbstvertreter führen aber keinen Kampf der Betroffenen, sondern sind im offenen Dialog miteinander. So soll langfristig eine, für alle Seiten akzeptable, Lösung gefunden werden. Bis dahin ist eine Schreibweise in männlicher und weiblicher oder neutraler Form aus Sicht der Barrierefreiheit, Suchmaschinenoptimierung und Gendergerechtigkeit wohl der beste Kompromiss. Denn bei aller Liebe für gendersensible und gendergerechte Sprache sollte nicht vergessen werden, dass Sprache für Menschen ist. Sprache kann barrierefrei sein oder Barrieren in unseren Köpfen errichten, weshalb zunächst die Lesbarkeit für Sehende Nutzer, aber auch für Menschen mit Sehehinderungen im Vordergrund sehen sollte.