Mit dem Aufkommen smarter Städte, Indoor-Navigation und Echtzeitdaten ist theoretisch vieles möglich: automatische Hinweise, wenn ein Aufzug defekt ist oder Routen ohne Treppen. Doch solche Systeme werden oft ohne echte Teilhabe entwickelt. Was bringt eine Navigation, die einem eine barrierefreie Route zum Zielort plant, wenn diese selbst garnicht barrierefrei ist? Was sind eigentlich barrierefreie Karten und kann jeder Google Maps und co. wirklich nutzen?
Analoge Karten – Tradition mit Tücken
Sie werden zwar nach und nach aus den Haushalten verdrängt, doch vor allem an öffentlichen Orten gibt es immer noch viele analoge Pläne. Sei es die Übersichtskarte in Einkaufszentren oder Bahnhöfen, die Streckenpläne des ÖPNV oder die kleine Anfahrtsbeschreibung auf dem nächsten Flyer.
Typische Barrieren analoger Karten
Der größte Stolperstein der klassischen analogen Karten ist sprichwörtlich offensichtlich: sie sind ein visuelles Medium. Auf Papier gedruckt haben Betrachter keine andere Chance, als zu sehen. Hinzu kommen dann oft sehr kleine Beschriftungen, mangelnde Kontraste und unklare Symbole. Wenn man Glück hat, befindet sich die Legende immerhin irgendwo in der Nähe und man beherrscht die Sprache.
Und hängt man diese dann auch noch hinter Glaskästen auf, kommen noch viel mehr Probleme hinzu: Sie hängen immer entweder zu hoch oder tief und die Glasscheiben spiegeln und erschweren die Sicht so zusätzlich.
Welche Lösungen gibt es?
Ansätze, diese Probleme gibt es reichlich und sie müssen nicht in Digitalisierung enden. An vielen Bahnhöfen findet man inzwischen taktile Lagepläne. Sie kombinieren sichtbare und fühlbare Informationen darüber, wo sich Gleise und Fahrstühle befinden.
Aber auch für den Hausgebrauch gibt es Lösungen zum Mitnehmen. Bei Touch Mapper beispielsweise kann man sich kostenlos eine 3D-Druck-Datei zur Umgebung jeder beliebigen Adresse erstellen lassen oder sogar fertig gedruckt nach Hause bestellen. Eine schöne Idee um blinden Menschen die Orientierung in einer Fremden Umgebung zu vereinfachen.
Digitale Karten – Fortschritt mit Einschränkungen
Einen entscheidenden Schritt weiter sind digitale Karten. Viele Probleme ihrer analogen Vorgänger können am Monitor gelöst werden.
- Farben und Kontraste können bei Bedarf geändert werden.
- Die Schriften und Schriftgrößen werden einfach angepasst.
- Wenn gewünscht zoomt man noch ein bisschen rein.
- Icons können über Alternativtexte direkt erklärt werden.
- Nutzer können schnell nach gewünschten Orten suchen.
- Screenreader lesen zumindest Texte vor.
- Sie sind meistens aktuell und können sogar aktuelle Verkehrsinformationen enthalten.
Neben dem Einfachen Lösen der Probleme analoger Karten, können digitale Karten aber noch mehr. Sie können genutzt werden um zusätzliche Features für echte Teilhabe anzubieten. wheelmap.org bietet beispielsweise eine Übersicht über rollstuhlgerechte Orte. Auch bei anderen Karten kann diese und andere Information über zusätzliche Ebenen eingeblendet werden. Im Themenstadtplan meiner Heimatstadt Dresden beispielsweise kann vom Hochwasserpegel bis zum Schulbezirk alles nach Belieben hinzu geschalten werden. So können viele Informationen auf einer Karte untergebracht werden ohne diese zu überladen und Nutzer zu überfordern.
Doch auch digitale Karten haben ihre Barrieren. Teilweise kommen die sogar erst hinzu. Die Bedienung ist ungleich komplexer und kann Menschen mit kognitiven Einschränkungen leicht überfordern. Auch erfordern Sie erst einmal ein Gerät und oft auch eine Internetverbindung. In abgelegenen Gegenden Deutschlands kann das zu Problem werden.
Alternativtexte für barrierefreie Karten?
Nun bestehen Karten nicht nur aus den Namen von Städten und Sehenswürdigkeiten, die Screenreader einfach ausgeben können. Es geht auch um Straßenverläufe und Lage von Orten. Befindet sich der Park nun rechts oder links vom Rathaus? Wir wissen, dass Bilder Alternativtexte und Videos Untertitel brauchen um Visuelles für Screenreader aufzubereiten. Aber für praktisch unendliche Karten, von denen man immer nur einen Ausschnitt sieht? Wie soll das möglich sein?
Nun, Anbieter wie BlindSquare und Lazarillo schaffen genau das, was Google Maps bis heute nicht schafft: eine auditive, semantische Beschreibungen der wichtigsten Elemente in der Umgebung.
Navigationsdienste – Zwischen Inklusion und Datenlücken
Und was ist, wenn ich mir einen Weg zum Ziel planen lassen möchte? Nun, hier funktioniert die Textausgabe einzelner Schritte, denn über einfache Aussagen wie „In 300m rechts abbiegen“ ist den meisten Menschen geholfen. Doch die Potentiale für zusätzliche Features sind auch hier vorhanden.
Personalisierung – Wege nach individuellen Bedürfnissen
Geplante Routen sind nur dann gut, wenn man sie auch nutzen kann. Mit Auto brauche ich keine Schienen, klar. Und mit Rollstuhl keine Treppen. Mit ausreichend Daten über die Zugänglichkeit von Bahnhöfen, Kreuzungen und vielem mehr beispielsweise lassen sich aber barrierefreie Routen planen. „Finde mir eine rollstuhlgerechte Route nach Berlin.“ und Umstiege finden nur an Bahnhöfen statt, an denen man selbständig den Zug verlassen und betreten kann, der Fahrstuhl auch funktioniert. Doch genau hier besteht das Problem: Oft fehlen Daten oder sind veraltet. Information über aktuell defekte Fahrstühle fehlen gleich ganz.
Wenn wir also die vielen Daten, die wir eh sammeln, für die Zugänglichkeit von Orten und Wegen nutzen, dann wären so viel mehr Dinge möglich:
- Vermeidung von engen Durchgängen für Menschen mit Platzangst
- Routen mit guter Beleuchtung für mehr Sicherheit bei Nacht
- Vermeidung von stark befahrenen oder lauten Straßen für Menschen mit Autismus (oder gerade eine Auswahl dieser für allein laufende Frauen)
- Strecken mit regelmäßigen Sitzgelegenheiten für Personen mit geringer Ausdauer
- Vermeidung von Treppen, Kopfsteinpflaster oder starken Neigungen für Menschen mit Gehbehinderung
- Anzeige barrierefreier Querungsmöglichkeiten (z. B. mit Ampel oder akustischem Signal)
Beispiele für barrierefreie Karten und Navigationsdienste
Es gibt bereits einige vielversprechende Anbieter.
Route4U beispielsweise berwertet die Zugänglichkeit von Gehwegen. Steigung, Belag, Baustellen, Hindernisse? Alles können Nutzer melden und so eine nutzbare Routenplanung ermöglichen.
NaviLens hat farbige QR-Codes entwickelt, die mit dem handy auch aus 15m Entfernung erkannt und zur lokalen Orientierung genutzt werden können. Sie sind weltweit schon in vielen Großstädten an Haltestellen, Sehenswürdigkeiten, öffentlichen Gebäuden oder im ÖPNV verteilt. Blinde und sehbehinderte Menschen müssen die Kamera nur grob in die richtige Richtung halten und erhalten wichtige Informationen oder sagt an, wie weit entfernt der Nutzer noch vom Code ist und wo dieser liegt.
Bei Be My Eyes bieten Freiwillige Unterstützung in allen Lebenslagen. Sprichwörtlich ersetzen sie die eigenen Augen und das Tag und Nacht und völlig kostenlos. Sie helfen so auch, in unbekannten und unübersichtlichen Umgebungen zu navigieren.
Fazit – Ideen gibt es viele, jetzt braucht es Daten
Ob analog oder digital – barrierefreie Karten sind unerlässlich für selbstbestimmte Mobilität. Sie ermöglichen Menschen mit unterschiedlichsten Einschränkungen die Orientierung im öffentlichen Raum, den Zugang zu Informationen und damit letztlich gesellschaftliche Teilhabe.
Digitale Technologien eröffnen dabei neue Möglichkeiten und Ideen gibt es schon viele: von taktilen Stadtplänen über personalisierte Routenplanung bis hin zu auditiven Navigationstools. Doch damit diese Innovationen wirklich inklusiv wirken, braucht es vor allem eines: konsequente Mitgestaltung durch alle Menschen und verlässliche Daten.