Sie werden sicher schon darüber gestolpert sein: Dauerhaft sichtbare oder hinter einem Button versteckte Funktionen, die Nutzer einer Website verwenden können, um die Seite für sie scheinbar lesbarer zu machen. Die häufigsten Optionen sind Hochkontrastversionen (weißer oder gelber Text auf schwarzem Hintergrund) und Schriftvergrößerungen. Doch braucht es diese Einstellungsmöglichkeiten eigentlich für eine barrierefreie Website? Das schauen wir uns heute genauer an.
Sind Accessibility Toolbar und Accessibility Overlay das Gleiche?
Das hängt davon ab, wen man fragt. Die Fachwelt ist hier unterschiedlicher Meinung und ich habe schon hitzige Debatten darüber geführt. Deshalb meine persönliche Meinung: Nein.
Accessibility Overlays versprechen fast immer eine barrierefreie Website oder zumindest eine deutlich verbesserte Barrierefreiheit einer Seite. Dafür wird meist ein JavaScript eingebunden, welches den ausgegebenen Quelltext unabhängig vom System darunter manipuliert und scheinbar eine bessere Version der Website an den Nutzer ausspielt. Sie legen sich sozusagen über die Website, deshalb Overlays.
Dass diese Overlays nicht funktionieren, habe ich bereits im Artikel über Accessibility Overlays beschrieben. Inzwischen wurde der erste Anbieter wegen falscher Versprechen bereits verklagt.
Als Teil ihres Paketes liefern diese Overlays nahezu immer eine Toolbar mit, die über einen Button aktiviert werden kann und je nach Anbieter eine Vielzahl an Funktionen bietet. Und weil diese Toolbars mit den Overlays gemeinsam kommen, werden sie oft als eine Funktion verstanden.
Ich sehe beide Funktion separat voneinander, nichtzuletzt weil man eine Toolbar auch völlig ohne Overlay selbst entwickeln und anbieten kann.
Fördert eine Toolbar die Barrierefreiheit?
Eher nein.
Als erstes muss man verstehen, dass eine Toolbar keine Funktionen bieten kann/darf, um eine vorhandene Barriere zu beheben. Das heißt, alle Prüfschritte einer barrierefreien Website sollten ohne diese Toolbar bereits funktionieren. Die Schriftgröße muss sich an die gewählte Schriftgröße der Nutzer in den Einstellungen des Browser anpassen, Farbkontraste sollten per se hoch genug sein. Das heißt, eine Website ist bereits barrierefrei, bevor die Toolbar hinzukommt, sie wälzt keine vorhandenen Probleme auf den Nutzer ab. Zwar gibt es eine Hintertür in der WCAG, die einem eine barrierefreie Alternativversion einer Website erlaubt (etwas, worauf sich die Anbieter von Overlays gern beziehen), aber wir wollen ja echte, barrierefreie Websites umsetzen, nicht wahr?
Darüber hinaus sollte man darauf achten, dass die Toolbar selbst barrierefrei bedienbar ist. Auch daran scheitern die Anbieter vieler Overlays/Toolbars, denn deren Werkzeuge fügen oft genug neue Barrieren hinzu. Überprüfen Sie also zwingend auch die Tastaturbedienbarkeit eventuell hinzugefügter Toolbars. Auch sollten die Funktionen und deren Nutzen klar beschrieben sein um Menschen mit geistigen Einschränkungen nicht zu überfordern.
Wenn das alles erfüllt ist, und nur dann, stellt sich die fast schon philosophische Frage, ob eine barrierefreie Website denn noch besser sein kann. Um das zu beantworten müssen wir verstehen, dass eine Website, die die WCAG erfüllt, zwar als barrierefrei gilt, aber nicht zwingend sehr gut nutzbar ist. Beispielsweise wird auch auf großen Websites keine Suche gefordert, ein vollständiges Inhaltsverzeichnis würde reichen. Aber würde man deshalb auf eine Suche verzichten oder ein Inhaltsverzeichnis mit 2000 Links erstellen? Hier fangen wir also an, nicht nur an die faktische, rechtliche Barrierefreiheit, sondern an die Usability für unsere Nutzer zu denken und auch diese als Teil der Barrierefreiheit zu verstehen. Und dann kann es sein, dass gezielt ausgewählte Funktionen die Website nicht formal barrierefreier, aber einfacher zu nutzen machen und dadurch trotzdem Barrieren für Menschen beseitigen.
Wann ist eine Toolbar sinnvoll?
Im Einzelfall.
Menschen mit dauerhaften Behinderungen haben mit der Zeit viele Anpassungen ihres Computers und Browsers vorgenommen, um Websites nutzen zu können. Sie installieren Screenreader, passen Farben, Schriftarten und Schriftgrößen nach Ihren Bedürfnissen an. Bedenken Sie also, dass sich Ihre Werkzeuge primär nicht an Menschen mit Behinderungen richten.
Trotzdem kann eine Website natürlich Barrieren für Menschen bereithalten, die keine dauerhafte Einschränkung haben und deshalb von den Möglichkeiten der Browser (noch) nichts wissen oder denen diese einfach zu kompliziert sind. Als Beispiel wähle ich hier immer gern die Website einer Augenarztpraxis, auf der Menschen, die womöglich spontan ein Problem mit den Augen haben, etwas finden müssen. Auch eine Website, die Rentner als Zielgruppe hat könnte überlegen, ob es eben Funktionen gibt, die diesen besonders helfen würden, ohne, dass erst ein Computer-Kurs benötigt wird.
Welche Funktionen sind sinnvoll?
Eben weil die Auswahl an Funktionen für Ihre Nutzer passen muss, lässt sich das so nicht pauschal sagen. Schauen wir uns deshalb einmal ganz typische Funktionen an, die die meisten Toolbars besitzen.
Schriftvergrößerung
Jeder hat sie schon einmal gesehen, die Klassischen „A-„- und „A+“-Buttons um die Größe der Schrift direkt auf der Seite zu steuern. Funktionieren tut das gut, der Nutzen ist jedoch eingeschränkt. Die meisten Nutzer wissen inzwischen, wie sich im Browser oder am Handy zoomen lässt. Darüber hinaus haben die Implementierten Buttons häufig Limits und lassen beispielsweise nur einen Zoom auf 200% zu.
Hier gilt aber: je älter die Nutzer, desto seltener ist der zur Verfügung stehende Zoom bekannt. Womöglich wollen Sie sie also trotzdem anbieten. Wenn Sie planen, eine Schriftvergrößerung umzusetzen, dann implementieren Sie sie aber so robust, dass sie eine endlose oder sehr starke Vergrößerung zulässt und Ihre Website dann auch stabil funktioniert. Achten Sie insbesondere darauf, dass keine Texte abgeschnitten oder überlagert werden.
Hochkontrastversion
Die Darstellung in maximalen Kontrasten ist etwas, das oft nur von Menschen mit sehr starken Sehbeeinträchtigen benötigt wird und dann, wie oben erwähnt, anders gelöst wird. Es wird wenige Anwendungsfälle geben, in denen Sie diese anbieten müssen. Bedenken Sie dabei immer auch: Personen, die diesen Kontrast benötigen, müssen Ihn in der „normalen“ Ansicht finden können.
Verwechseln Sie aber bitte nicht die Hochkontrastversion mit einem Darkmode. Wenn Sie hohe Kontraste versprechen, müssen Sie diese auch halten. Ein vom Nutzer bevorzugter Darkmode muss nicht zwingend über mehr Kontraste verfügen als die helle Variante Ihrer Seite und benötigt keinen Button. Er sollte von allein geladen werden.
Vorlesefunktion
Eine Funktion zum Vorlesen der Website oder Teilen davon ist sozusagen ein Screenreader light. Sie ist nicht geeignet um auf einer Website zu navigieren, sondern wird oft genutzt, wenn lange Texte gelesen werden sollen oder müssen. Das kann für Blogs wie diesen gelten, aber auch für Rechtstexte oder Zeitungsartikel. Richten sich Ihre Inhalte an ein älteres Publikum, dann kann eine Vorlesefunktion möglicherweise sinnvoll sein. Denn das lesen Langer Texte kann schnell ermüden. Aber auch das junge Publikum zeigt durch die Beliebtheit von Podcasts, dass Wissen auf den Ohren, während man die Hände und Augen frei hat, nicht unbeliebt ist.
Achten Sie bei einer Umsetzung aber unbedingt auf eine gute Sprachqualität. Ein vorgelesener Text, den keiner versteht, bringt niemandem etwas.
Farbverschiebungen
Dass es Menschen mit Rot-Grün-Schwäche gibt ist kein Geheimnis. Daneben gibt es noch viele andere unterschiedliche Ausprägungen der Farbsehschwächen bishin zur kompletten Farbblindheit. Einige Anbieter bieten deshalb die Möglichkeit, über einen Farbfilter alle Farben einer Seite (also auch die innerhalb von Bildern) so zu verschieben, dass die Inhalte angeblich besser gesehen werden können. In einem Test mit 2 Freunden, die unter unterschiedlichen Formen der Rot-Grün-Schwäche leiden, klappte das eher so mäßig. Einer sagte sogar, dass die Funktionen es schlimmer machten als es ohnehin ist.
Die Sache ist: Farbe sollte auf einer Website ohnehin irrelevant sein. Denn: barrierefreie Farben gibt es nicht. Im Prinzip muss eine Website in Graustufen funktionieren. Genau deshalb wird der Kontrast zweier Farben über deren Helligkeit definiert und Rot und Grün können mathematisch einen Kontrast von 1:1 haben (also praktisch identisch sein). Auch wichtige Funktionen dürfen nicht nur über die Farbe angezeigt werden. Fügen sie unterschiedliche Schriftschnitte, Schriftgrößen oder Unterstreichungen hinzu. Auch ein Icon kann helfen, Fehler von Erfolgsmeldungen zu unterscheiden. Eine Farbverschiebung braucht es eher nicht.
Fazit – Toolbars braucht es selten
Im Ergebniss lässt sich sagen, dass es Werkzeugleisten wie diese eher selten wirklich benötigt, sie aber durchaus nützlich sein können. Sie steigern nicht die formale Barrierefreiheit einer Seite, können aber bestimmten, nicht technikaffinen Nutzergruppen hilfreiche Funktionen bieten. Wählen Sie sie unbedingt mit Bedacht aus und setzen Sie sie dann barrierefrei um. Befragen Sie doch in der Planung einfach Ihre Nutzer: was würde denen wirklich helfen, vor welchen Problemen stehen sie? Und entscheiden Sie dann, ob Nutzer eine individuelle Steuerung benötigen oder, ob die Schriftgröße nicht auch generell ein paar Pixel größer werden könnte.