Diesen Text zu lesen dauert in etwa 5 Minuten. 5 Minuten, in denen ich Ihre Konzentration haben möchte. Für viele Menschen kein Problem, für Personen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) kann diese Zeit bereits zur Herausforderung werden.
ADHS ist die häufigste psychiatrische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Aktuellen Studien zufolge sind in Deutschland ca. 5 % der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren betroffen. Dabei wird die Krankheit bei Jungen viermal häufiger diagnostiziert als bei Mädchen. Die Zahl der Diagnosen steigt und damit auch die Bedeutung für Designer und Entwickler. Welchen Einfluss hat die Erkrankung auf die Nutzung von Websites? Können wir Internetseiten so entwickeln, dass sie ADHS-freundlich sind?
Was sind ADHS und ADS?
Schauen wir uns erst einmal an, worüber wir überhaupt sprechen. Was sind die Symptome von ADHS und gab es nicht auch mal ADS?
Was ist ADHS
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die vor allem durch Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme gekennzeichnet ist. Menschen mit ADHS haben häufig Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, wodurch sie Informationen teilweise langsamer verarbeiten oder Pläne gleich wieder vergessen. Diese Symptome können insbesondere in der Schule oder im Beruf zu erheblichen Herausforderungen führen, da hier hohe Anforderungen an die Konzentration und Organisation gestellt werden.
Hyperaktivität ist ein weiteres häufiges Merkmal. Das bedeutet, dass viele Betroffene ständig in Bewegung sind, oft zappeln oder nicht stillsitzen können. Sie tun sich oft schwer damit, ihre Impulse zu kontrollieren. Das kann dazu führen, dass sie andere unterbrechen oder Schwierigkeiten haben, in einer Warteschlange geduldig abzuwarten. Solche Verhaltensweisen können in sozialen und beruflichen Situationen zu echten Herausforderungen werden.
Betroffene, vor allem die, die sich dessen nicht bewusst sind, sind oft frustriert aufgrund unerfüllter Erwartungen, was sich negativ auf das Selbstwertgefühl auswirken kann. Soziale Beziehungen zu pflegen ist dank Vergesslichkeit und Konzentrationsproblemen schwieriger.
Aber es gibt auch viele Stärken, die mit ADHS einhergehen. Menschen mit ADHS sind oft kreativ, impulsiv im besten Sinne und können in ihrem Tun eine unglaubliche Energie entfalten, wenn sie sich für etwas begeistern.
Und was ist mit ADS?
Die Bezeichnung Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder -störung (ADS) ist umgangssprachlich nach wie vor weit verbreitet, wird jedoch in der aktuellen Fachliteratur nicht mehr verwendet. Früher wurde ADS insbesondere für Personen genutzt, die vorwiegend Aufmerksamkeitsprobleme ohne ausgeprägte Hyperaktivität aufweisen. Diese Bezeichnung soll verdeutlichen, dass nicht alle Betroffenen unter Hyperaktivität leiden. Heute werden sie den ADHS-Betroffenen zugeschrieben, da einzelne Symptome ohnehin bei allen Personen unterschiedlich stark ausgeprägt sind.
Websites für Betroffene von ADHS optimieren
Um Websites für Betroffene von ADHS zu optimieren, sollten sie die Konzentration erleichtern und fördern. Schauen wir uns an, wie das gelingen kann.
Schnelles Auffinden von Informationen
Sorgen Sie dafür, dass Informationen schnell gefunden werden können. Die meisten Nutzer ihrer Website lesen keine langen Texte, Nutzer mit ADHS sowieso nicht. Strukturieren Sie Ihre Inhalte mit passenden Überschriften, teilen Sie lange Texte in kürzere Absätze und verwenden Sie Listen mit kurzen Stichpunkten. Durch oberflächliches Scannen der Website sollte schnell klar sein, wo die Antwort zur Frage des Nutzers zu finden ist. Auch eine einfache und barrierefreie Navigation kann helfen, schnell zum gewünschten Ergebnis zu kommen.
Vorsicht mit Animationen und Hintergrundmusik
Menschen mit ADHS neigen dazu, sich auf kleine Details zu hyperfokussieren, und Webanimationen können dabei besonders ablenkend wirken. Für viele ist es schlicht unmöglich, eine Webseite mit sich bewegenden Inhalten zu lesen, da die Augen immer wieder zur Animation zurückkehren.
Animationen sind von Natur aus ablenkend, da sie darauf abzielen, die Aufmerksamkeit des Nutzers zu erregen und Blicke zu lenken. Deshalb sollten sie mit Bedacht eingesetzt werden. Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), die weithin als internationaler Standard für digitale Barrierefreiheit gelten, haben strenge Regeln für bewegte, blinkende, scrollende oder automatisch aktualisierende Informationen.
Grundsätzlich muss der Nutzer die Möglichkeit haben, den bewegten Inhalt zu pausieren, zu stoppen oder auszublenden. Doch im besten Fall sollten längere Animationen und Videos von Anfang an nicht automatisch abgespielt werden (insbesondere, wenn sie Ton enthalten). Warten Sie einfach ab, bis der Nutzer diese selbst startet. Im Browser kann außerdem die Präferenz „prefers-reduced-motion“ gesetzt werden. Ist diese aktiviert, dann sollten keinerlei Bewegungs-Animationen stattfinden.
Mehr zu barrierefreien Animation im Artikel Barrierefreie Animationen – wann Bewegung hilft und wann sie schadet
Ablenkungsfreies Design
Weniger ist bekanntlich mehr. Wenn es darum geht, die Konzentration zu fördern, dann gilt das mehr denn je. Verzichten Sie auf ablenkende Elemente und präsentieren Sie Ihre Informationen so übersichtlich wie möglich. Klar erkennbare Überschrift-Hierarchien und wenige Schriftarten und Farben erleichtern das Lesen und Verständnis der Texte. Dass die Mindestanforderungen für den Farbkontrast erfüllt werden müssen, sollte klar sein.
Wie wäre es mit einem Lesemodus oder einer Vorlesefunktion?
Nicht jede Anforderung eines Nutzers lässt sich im Standarddesign einer Website anbieten. Um so wichtiger ist, dass diese so individualisierbar wie möglich ist. Nicht nur Farben und Schriften können dabei angepasst werden. Wie wäre es, wenn ein Nutzer das gesamte Layout der Seite ändern und eine Art Lesemodus aktivieren kann? Hier kann er in einer komplett reduzierten Seite, ablenkungsfrei, insbesondere längere Texte wie diesen Blogartikel lesen. Dabei können dekorative Elemente, aber auch ein Großteil von Seitenkopf und Seitenfuß ausgeblendet werden.
Wem schon beim Anblick eines langen Textes graut und wer vor Textwüsten gleich Reißaus nehmen möchte, dem hilft dagegen womöglich eine Vorlesefunktion. Auch Personen mit Seh- oder Leseschwächen profitieren davon.
Fazit – Barrierefreiheit für Personen mit ADHS
Wenn wir an digitale Barrierefreiheit denken, sollten wir immer im Hinterkopf behalten, dass es nicht nur um physische Zugänglichkeit geht. Menschen mit ADHS haben Ihre ganz eigenen Herausforderungen im Internet. Websites sind oft ein Dschungel voller Ablenkungen. Indem wir unsere Webseiten übersichtlich und klar strukturieren, machen wir ihnen und vielen anderen Nutzern das Leben leichter. Animationen sind cool, aber sie können auch ablenken – also weniger ist oft mehr. Wie wäre es, wenn wir die Kontrolle über bewegte Inhalte den Nutzern überlassen oder gleich einen Lesemodus anbieten, der ablenkungsfrei ist? Am Ende profitieren alle davon: Eine klare, gut durchdachte Website ist für jeden angenehmer zu nutzen.
Mehr Informationen über ADHS und Hilfe, wenn ihr selbst oder angehörige Betroffen sind, erhaltet ihr bei ADHS Deutschland e.V..
Kurzweilige Einblicke in den Alltag von Personen mit ADHS finden Sie im ADHS-Alphabet auf LinkedIn von Annika Brinkmann, die mir für diesen Artikel außerdem mit wertvollen Tipps und Korrekturen zur Seite stand.