Accessibility Overlays und die Mär der automatischen Barrierefreiheit

27.3.2024

Accessibility Overlays sind in aller Munde, versprechen Sie in der Zeit des BFSG doch günstige und schnelle Barrierefreiheit. Aber Sie sind Teil des Problems.

Inhaltsverzeichnis

Der Traum aller Kunden und Betroffenen und der Albtraum aller, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen: jede Website ist automatisch mit drei Maus-Klicks barrierefrei. Stolpersteine verschwinden wie von Zauberhand. Auch ich fände das schön, denn es würde bedeuten, dass es auf der Welt wohl viel mehr barrierefreie Websites geben würde. Doch wie sieht die Realität aus? Kann man Websites automatisch barrierefrei machen? So utopisch es klingt, es gibt auf dem Markt einige Tools, sogenannte Accessibility Overlays, die genau das versprechen. Einige lehnen sich sogar so weit aus dem Fenster, dass sie 100% Barrierefreiheit versprechen (mutige Aussage), andere zumindest Rechtssicherheit. Schauen wir uns deshalb an, wieviel Barrierearmut und Barrierefreiheit man erwarten kann.

Barrierefreiheit automatisch testen

Um Barrieren zu beheben muss man zunächst wissen, wo sie liegen. Dazu muss eine Website intensiv getestet werden. Je nach Menge und Komplexität der ausgewählten Testseiten kann das für eine Expertin oder einen Experten durchaus auch mehrere Tage Arbeit bedeuten. Deutlich günstiger wäre es da doch, wenn wir ein geeignetes Tool mit unseren URLs füttern und einen möglichst vollständigen Maßnahmenkatalog erhalten würden.

Und Tools dieser Art gibt es reichlich. Sei es der weit verbreitete WAVE-Test, den man unkompliziert über die passende Browserextension starten kann, oder den in den Lighthouse-Test von Google eingebauten Accessibility Score.

Mit diesen Tests lassen sich ohne großen Aufwand bereits wichtige Fehler auffinden, sie haben jedoch zwei entscheidende Probleme:

  • automatische Tests können (Stand heute) nur ca. 35% aller Anforderungen überprüfen. Das liegt daran, dass viele Prüfschritte darauf ausgelegt sind, dass Dinge für einen Nutzer konsistent sind oder sinnvoll umgesetzt worden. Diese müssen auch menschlich geprüft werden.
  • Weniger tragisch, aber ärgerlich: Viele dieser Tests zeigen auch falsch-positive Ergebnisse an, finden also Probleme, die gar nicht existieren. Am häufigsten tritt das bei der Bestimmung von Kontrasten auf, bei denen der Hintergrund falsch ermittelt wird.

Man kann automatische Tests also gern verwenden, um einen ersten Eindruck möglicher Stolpersteine zu gewinnen oder regelmäßig zu überwachen, ob beispielsweise Alternativtexte konsequent gepflegt werden. Zu viel Wert sollte man auf die Punktzahl allerdings nicht legen, denn weder bedeutet ein Punktabzug zwingend ein Problem noch sichert eine volle Punktzahl Fehlerfreiheit zu.

Über das Testen und Zertifizieren von Barrierefreiheit habe ich bereits schon einmal gebloggt.

Probleme automatisch beheben mit Accessibility Overlays

Einen Schritt weiter gehen sogenannte Accessibility-Overlays, die versprechen, Probleme der Barrierefreiheit nicht nur zu finden, sondern auch zu beheben. Dazu verändern Sie teilweise den Quelltext der Seite oder bieten zusätzliche Modi für den Nutzer an, beispielsweise:

  • Hochkontrastversion
  • invertierte Ansicht (meist helle Schrift auf dunklem Untergrund)
  • Schriftvergrößerung
  • Vorlesefunktion

Keine Barrierefreiheit durch Accessibility Overlays

Experten sind sich einig: Accessibility Overlays stellen keine Barrierefreiheit her. Abgesehen von den eigenen Werbeversprechen und ein paar schlecht recherchierten Presseartikeln finden sich von Fachleuten ausnahmslos kritische Artikel – mehr dazu am Ende des Artikels. Gehen wir aber kurz auf die Gründe ein, weshalb das so ist.

Wie oben schon beschrieben, lässt sich nur ein Bruchteil der Probleme automatisch testen. Folgerichtig lässt sich auch nur ein Bruchteil der Probleme durch ein solches Tool beheben. Es gibt mit Sicherheit typische Stolpersteine, die die Accessibility Overlays gut lösen und so ohne den Einsatz eines Entwicklers die Barrierearmut verbessern. Sie stellen aber keine Barrierefreiheit her.

Gern wird mit den vielen Zusätzlichen Funktionen geworben, die in Toolbars der Website hinzugefügt werden. Wichtig ist zu wissen, dass diese Toolbars nicht notwendig sind für eine barrierefreie Seite und auch nicht geeignet dafür sind, eine nicht barrierefreie Seite zu verbessern. Wenn also beispielsweise der Farbkontrast Ihrer Links zu gering ist, dann müssen Sie diesen in der Hauptversion Ihrer Seite beheben, die Existenz einer Hochkontrastversion ändert am Ergebnis nichts. Viele Nutzer haben Funktionen, die eine solche Toolbar anbietet, außerdem hart in Ihren Browsereinstellungen hinterlegt. Es ist also beispielsweise wichtiger, sich an den Darkmode des Browsers anzupassen, als selbst einen per Mausklick anzubieten.

Nichtsdestotrotz kann die Toolbar für Menschen mit geringen Erfahrungen ein leichter Einstieg darin sein, bestimmte Funktionen auszuprobieren und die eigene Wahrnehmung der Inhalte zu verbessern. Wichtig ist aber, dass diese Toolbar dann selbst barrierefrei ist. Und damit kommen wir zum zweiten Problem von vielen Accessibility Overlays

Accessibility Overlays sind oft selbst nicht barrierefrei

Es klingt wie ein schlechter Witz, ist aber leider wahr. Die Tools, die die eigene Website schnell und kostengünstig barrierefrei macen sollen, sind es oft selbst nicht. Die Kontraste zu gering, nicht oder nur umständlich tastaturbedienbar, mangelnde oder schlechte Alternativtexte der Bedienelemente. Die Liste der potentiellen Probleme ist lang.

Accessibility Overlays – Fazit

Die Aktion Mensch bringt es, wie ich finde, auf den Punkt. Auf die Frage, unter welchen Umständen man Overlays einsetzen könnte, antworten sie kurz und knapp: „Es gibt keinen guten Einsatzzweck für Overlays.“. Wenn Sie die Barrierefreiheit Ihrer Website nachhaltig verbessern wollen, das Budget für einen kompletten Relaunch aber fehlt, dann helfe ich Ihnen gern dabei, die 80% der Probleme auszumachen, die sich in 20% der Zeit lösen lassen. Teil meiner Leistungen ist es, Ihnen einen passenden Maßnamenkatalog zur Verfügung zu stellen oder Ihre Entwickler dahingehend zu beraten.

Zum Weiterlesen

Weil es mir wichtig ist zu zeigen, dass ich mit dieser kritischen Meinung zu Accessibility Overlays nicht allein dastehe, nachfolgend Links zu den Artikeln anderer Fachmenschen.

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